INDIANER zwischen Gestern und Heute

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Indianer oder nicht




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Indianer oder nicht

Beitragvon Bärbel » Do 19. Jul 2012, 09:19

Hier in Europa ist die genaue Angabe der Herkunft ja meist gar nicht so wichtig. Wenn jemand sagt, er ist Deutscher, dann nehmen wir das gerne so hin, auch ohne erst den Personalausweis kontrollieren zu wollen, selbst wenn diese Aussage mit starkem fremdländischen Akzent gesprochen wurde. Wenn sich jemand, der zwar vielleicht Wurzeln in anderen Ländern hat, nunmal hier heimisch fühlt (vielleicht ja sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat) ... warum denn nicht?

Bei Indianern sieht das oftmals jedoch anders aus. Warum? Nun, betrachten wir zunächst mal ein bisschen die Geschichte:
In den Lehrbüchern finden wir ja so oft, "Amerika wurde 1492 von Columbus entdeckt". Lassen wir mal die Frage beiseite, wer nun wirklich Amerika entdeckt hat, wer einfach dort erschaffen wurde und wer "bloß Einwanderer" ist. Unstreitig ist ja wohl, dass es Indianer der unterschiedlichsten Nationen im heutigen Amerika schon vor der Ankunft von Columbus gab. Demnach müssten doch eigentlich auch alle ihre Nachkommen irgendwie Indianer sein, oder?

Aber warum ist das denn bloß so wichtig? ... Macht, Gier, Überheblichkeit und Arroganz! ... Könnte man auch netter ausdrücken? Vielleicht. Im Endeffekt stehen aber - zumindest aus Indianersicht - meist genau diese Dinge dahinter.

Schon seit Jahrhunderten hat es immer wieder genügend Fälle gegeben, wo Weisse gute Kontakte zu Indianern pflegten, mit ihnen sogar Familien gründeten und in der entsprechenden Stammesgemeinschaft durchaus voll integriert waren. Da hat dann auch nur sehr selten irgendein Hahn danach gekräht, ob dieser Weisse nun "gebürtiges Stammesmitglied" war oder nicht. Er gehörte zur Gemeinschaft, war einer von ihnen und Punkt.

Jedoch, je mehr Europäer in das heutige Amerika drängten, umso wichtiger wurde die Frage, wer denn nun über gewisse Landstriche zu bestimmen hätte. Verträge wurden geschlossen ... wieder gebrochen und neue geschlossen ... aber das Ende vom Lied war, dass es die Gruppe der (weissen) "Amerikaner" auf der einen Seite und die einzelnen Indianernationen auf der anderen Seite gab. Jeder für sich auf seinem eigenen Land "souverän", aber eben für die Indianer dieses "souverän" nur in Anführungszeichen, denn sie durften (und dürfen noch heute) zwar in gewissen Bereichen als Stamm über die eigenen Belange entscheiden, in anderen Bereichen jedoch hat die amerikanische Regierung immer noch die Oberhand ... und genau das macht das Leben für Indianer heute oftmals so kompliziert.

Der Dawes Act (oder General Allottement Act) vom 08.Februar 1887:
Gedacht, um den Indianern durch "Zivilisierung" eine bessere Zukunft zu ermöglichen, führte er im Endeffekt dazu, dass den Indianern noch mehr Land weggenommen wurde, als es sowieso schon der Fall gewesen war.

Senator Henry Dawes von Massachussetts (1816 - 1903) glaubte fest an die "zivilisierende Wirkung" von Eigentum an Grund und Boden. Seiner Meinung nach, konnte man nur "zivilisiert" sein, wenn man “zivilisierte Kleidung trägt, den Boden kultiviert, in einem Haus lebt, einen Studebaker fährt, die Kinder in die Schule schickt, Whiskey trinkt und Grund und Boden besitzt”. Er war davon derart überzeugt, dass er in den 1880ern die Legislative beschwor, die Indianer durch die Zuweisung von individuellen "Allottements" (zur Nutzung überlassene Grundstücke) zu "zivilisieren".

Er muss dabei sehr überzeugend gewesen sein, denn am 8. Februar 1887 trat der “General Allottement Act”, auch bekannt als “Dawes Act” in Kraft und abgesehen von den Cherokee, Cree, Choctaw, Chickasaw, Seminolen, Osage, Miami, Peoria, Sac and Fox im Indianer-Territorium und den Reservationen der Seneca im Staate New York sowie einem Landstreifen in Nebraska galt dies für alle Indianer-Nationen.

Wenn der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nun also der Meinung war, dass entgegen der bisherigen Reservatslandnutzung durch die darauf lebenden Indianer die Nutzung dieses Landes zu landwirtschaftlichen oder weidelandlichen Zwecken vorteilhafter wären, dann konnte er ganz nach Gutdünken dieses Reservatsland aufteilen, die darauf lebenden Indianer mit entsprechenden Werkzeugen ausstatten und in deren Nutzung unterweisen, weil ja angeblich die Landwirtschaft der einzige Weg sei, die Indianer “aus ihrer Misere herauszuführen”. (Dabei erhielt dann ein Familienoberhaupt 160 acre, eine Einzelperson oder Waise von mehr als 18 Jahren 80 acre und Jungen unter 18 erhielten 40 acre. Unverheiratete Frauen hatten gar kein Anrecht auf ein entsprechendes “Allottement”.)

Diese Allottements gaben den Besitzern allerdings nicht Eigentumsrechte im europäischen Sinne, die Grundstücke standen weiterhin unter Regierungsverwaltung. Nach 25 Jahren konnten sie zwar in den Besitz des Allottements-begünstigten Indianers übergehen, jedoch musste dieser Indianer nach Ablauf der 25 Jahre dann auch die Steuern dafür zahlen. Da dies vielen Indianern unmöglich war, verloren sie die Eigentumsrechte wieder

Andere Allottements wurden dadurch verloren, dass nach dem Tod des eigentlichen Allottement-Inhabers das Land unter seinen Erben aufgeteilt wurde. Somit wurden die individual gehaltenen Grundstücke jedoch immer kleiner und ab Unterschreitung einer gewissen Mindestgröße, fielen auch diese Grundstücke aus dem "Indianereigentum". Einer solchen Aufsplitterung konnte man zwar entgehen, wenn sich ALLE Erben einig waren (und dies auch juristisch hieb und stichfest dokumentierten), dass sie eine solche Aufsplitterung nicht wünschen. (Heutzutage ist es allerdings oftmals beliebig schwierig, wirklich ALLE Erben und deren Rechtsnachfolger aufzutreiben, da sie oftmals in alle Winde verstreut sind, unter den nachfolgenden Generationen keine Kontakte mehr bestehen und dadurch die Rechtsnachfolger unbekannt sind u.ä.)

Noch andere Allottements gingen für die Stämme dadurch verloren, dass niemand gezwungen war, ein solches Allottement auch anzunehmen. Wer sich dagegen entschied, wurde nämlich nicht nur finanziell sondern auch mit einem “US Citizenship” abgefunden und dies schien für so manch einen am Existenzminimum (oder noch darunter) rumkrebsenden Indianer durchaus verlockend.

Tja, und die "verlorenen" Allottements konnten dann von anderen Personen - wie z.B. auch Nicht-indianischen Siedlern, die in Erfüllung des "Manifest Destiny" davon überzeugt waren, dass es Gottes Wille sei, dass Amerikaner (christlich, europäischer Herkunft) das Land zwischen Atlantik und Pazifik besitzen - aufgekauft werden, so dass auf eigentlichem Reservatsland nun Indianer und Nicht-Indianer nebeneinander lebten (sog. checkerboarding), was dann eine ganzheitliche Verwaltung erschwerte (bis unmöglich machte).

Dadurch wurde Land, welches ursprünglich gemeinschaftliches Stammesland war und somit jedem Stammesmitglied eine Heimat geboten hatte, zerteilt, wodurch indianische Gemeinschaften, Traditionen und Kultur zerstört wurden. Die indianischen Nationen verloren Millionen Hektar Land, welches sie seit Menschengedenken immer versorgt hatte. allein in den Jahren 1887 - 1934 schrumpfte das stammeseigene Land von 138 Millionen acre in 1887 auf 48 Millionen acre in 1934.

Somit warf der Dawes Act die ursprüngliche Anerkennung von Stammessouveränität über den Haufen und widersprach den eigentlich vertraglich vereinbarten Regierungspflichten Rechte, Land, Zugang und Ressourcen gemäß den mit den Stämmen geschlossenen Verträgen zu schützen. Er war wohl einer der effektivsten Bausteine der kolonialen und imperialistischen Strategien gegen indianische Nationen und kombinierte politische, militärische und ökonomische Taktiken, so dass die Macht der amerikanische Regierung gegenüber den indianischen Nationen verstärkt wurde, indem die stärkende Kraft der Gemeinschaft solch indianischer Nationen durch Aufspaltung in individuelle Einheiten aufgebrochen wurde und somit die einzelnen individuellen Einheiten einer Dominierung durch die Regierung nicht standhalten konnte.

US Citizenship:
Vor Einführung des Dawes Acts waren Indianer grundsätzlich zwar Bewohner “amerikanischen” Bodens, jedoch bedeutete dies nicht, dass sie damit auch amerikanische Staatsbürger waren. Durch ihren “Indianer”-Status, hatten sie zwar gewisse Vorteile (wie z.B. die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen und kostenlosen Gesundheitsservice), jedoch klang dies meistens nur auf dem Papier wirklich gut. Die Realität sah leider sah aus, dass dringend benötigte Lebensmittel gar nicht oder nur unzureichend bereitgestellt wurden und die Qualität des Gesundheitsservices durchaus zu wünschen übrig ließ Dadurch wurde es durchaus verlockend, diesen “Indianer-Status” einzutauschen gegen die amerikanische Staatsbürgerschaft (US-Citizenship). Heirateten Indianerinnen einen Weissen, konnten sie ab 1888 die amerikanische Staatsbürgerschaft ebenso erhalten wie ab 1913 die Veteranen des ersten Weltkriegs (und wie diejenigen, die auf ihr Allottement gemäß des Dawes Acts verzichtet hatten und somit u.a. durch solch ein Citizenship abgefunden wurden.

Erst mit dem Snyder Act (Indian Citizenship Act) vom 2. Juni 1924 erhielten die einzelnen Bundesstaaten das Recht, Indianern grundsätzlich die amerikanische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Jedoch haben viele Bundesstaaten auch weiterhin Indianern die amerikanische Staatsbürgerschaft verweigert. Und auch von Indianerseite wurde das Angebot der amerikanischen Staatsbürgerschaft nicht unbedingt positiv aufgenommen. Schließlich wollten die Indianernationen ja als EIGENSTÄNDIGE Nationen anerkannt werden und nicht nur in der Nation der weissen Amerikaner untergehen.

Mit dem Wheeler-Howard-Act (Indian Reorganization Act) vom 18.Juni 1934 wurde versucht, die negativen Folgen für die Indianer aus dem Dawes Act abzuschwächen oder sogar komplett rückgängig zu machen. Er sollte nicht nur die Souveränität und Selbstverwaltung der Stämme wieder herstellen und den ständigen Verlust an Reservationsland aufhalten, sondern auch dafür sorgen, dass die Ausbildung Indianischer Kinder auch wieder deren Werte und Traditionen umfasst (anstatt die Kinder nur auf europäische Werte und Traditionen zu reduzieren).

Zahlreiche Änderungsanträge noch während der Beratung über diese Gesetzesvorlage im Kongress weichten zwar den eigentlich geplanten Schutz der Indianer stark auf und die Oberaufsicht durch das BIA (Bureau of Indian Affairs) blieb trotz allem bestehen, jedoch stoppte der Indian Reorganization Act immerhin die Umwandlung von Stammes-Gemeinschafts-Land in Individualeigentum durch die Vergabe von Allottements, und reduzierte den ständigen Verlust an Indianerland durch den Verkauf der abgetretenen Allottements an Nicht-Indianer. Innerhalb der ersten 20 Jahre nach Verabschiedung des Indian Reorganization Acts wurde auf diese Weise zumindest zwei Millionen acres wieder an die unterschiedlichsten Stämme zurückgegeben.

Allerdings war dazu auch die Definition notwendig, wer denn nun als Indianer im Sinne dieses Gesetzes galt und wer nicht. Dazu bediente sich der Wheeler-Howard Act der Einführung des sogenannten Blut-Quantums. Jede anerkannte Indianer-Nationen darf in Ausübung Ihrer Souveränität entscheiden, welche Voraussetzungen in Bezug auf die biologische Herkunft eines Menschen erfüllt sein müssen, um als Mitglied dieser Indianer-Nation anerkannt zu werden. So gibt es einige Nationen, die mindestens 50 % Blutanteil, sprich die Tatsache, dass mindestens entweder Vater oder Mutter vollwertiges Stammesmitglied sind, andere erwarten einen Blutanteil von mind. 1/4, wieder anderen reichen 1/8 und noch anderen reichen sogar 1/16, sprich die Tatsache, dass ein Ur-Ur-Grossvater bzw. -mutter eingetragenes Mitglied dieser Nation war. Oder aber es gibt Nationen, bei denen man unabhängig vom tatsächlichen Blutanteil einfach nur einen Vorfahren nachweisen muss, der eingetragenes Mitglied dieser Nation war.

Jedoch werden nur Mitglieder von "federally recognized tribes", also von der Bundesregierung anerkannten Stämmen, als “Indianer” im Sinne dieses Gesetzes anerkannt und können somit durch diesen Indianerstatus staatliche Förderungen oder eben auch Land zurückerhalten (und auch das nur, wenn der Stamm dieses Land zunächst käuflich erwirbt, in "trust land" umwandelt und dann ... unter Berücksichtigung der auch in USA langsam mahlenden Bürokratiemühlen ... VIELLEICHT.)

Tja, und da diese Bundesregierung leider immer noch relativ willkürlich entscheiden kann, ob ein Stamm nun als freie und unabhängige Nation anerkannt wird oder nicht, kann man sich die Begeisterung der Indianer ob dieses Zustandes wohl lebhaft vorstellen.

Und somit ergaben sich somit nun für die Indianer neue Probleme. Sie wurden nämlich unterteilt in “enrolled Indian” (also in einer bundesstaatlich anerkannten Indianer-Nation als Mitglied eingetrage Indianer) und eben solche Personen, die zwar indianische Vorfahren haben, jedoch die Voraussetzungen, in einer solch anerkannten Nation auch eingetragenes Mitglied werden zu können, aus den unterscheidlichsten Gründen nunmal nicht erfüllen. Schließlich kann es ja auch sein, dass in der “ersten” Generation zwei in verschiedenen Nationen enrollte Indianer heiraten, deren Kind (“zweite” Generation) dann somit 50 % zur einen und 50 % zur anderen Nation gehörte und damit in EINER DER BEIDEN Nationen ebenfalls enrollt werden kann (Mitgliedschaften in beiden Nationen sind leider ausgeschlossen), dieses Kind dann aber wiederum einen enrollten Indianer, aber eben jemanden aus noch einer dritten Nation heiratet. Dann hätte deren Kind (“dritte” Generation) von der ursprünglichen Nation der “ersten” Generation nur noch 1/4 Blut-Quantum, was bei so manch einer Nation leider ein Enrollment ausschließt (obwohl dieses Kind ja trotz allem lauter enrollte indianische Vorfahren hat, rein genetisch also Vollblut-”Indianer” ist.). Tja, und noch viel komplizierter gestaltet sich die Sache dann, wenn nicht nur enrollte Indianer miteinander Kinder bekommen sondern auch noch Menschen mit entweder europäischen Vorfahren oder aber Indianer aus Nationen, die leider nicht bundesstaatlich anerkannt sind, involviert sind. ... Oder aber gar Menschen wie beispielsweise die Lenape, die in manchen Jahren als staatlich anerkannt gelten, in anderen Jahren jedoch nicht. ... Tja, und ganz abstrus wird die Sache dann, wenn z.B. Menschen von der Ostküste involviert sind. Denn dort galt: egal wieviel indianisches Blut in den Adern floss, wenn nur ein einziger Blutstropfen schwarz - also von Vorfahren afrikanischer Herkunft - war, so galt diese Person grundsätzlich als “von afrikanischer Herkunft” - was ebenfalls nicht gerade Vorteile brachte und diese Leute definitiv als “Indianer” ausschloss

Das Adult Vocational Training Programm (Indian Relocation Act) von 1956:
Gedacht, um es den Indianern zu ermöglichen, bessere Jobs erlangen zu können, schnitt es sie gleichzeitig jedoch auch ab von ihren alteingesessenen Stammesstrukturen und -gemeinschaften und sorgte für eine massive Abwanderung aus den Reservaten.

Nach dem zweiten Weltkrieg veränderte sich die amerikanische Gesellschaft dahingehend, dass immer mehr Leute von den ländlichen Regionen abwanderten und in die Städte zogen, wo es die für sie besseren, sprich höherbezahlten, Jobs gab. Die Indianer auf ihrem Reservatsland, welches bekanntermassen ja nicht gerade zu den fruchtbarsten Gegenden der USA gehört, konnten zwar vielleicht Ackerbau und Viehzucht betreiben, eine “goldene Nase” war damit jedoch nicht zu verdienen. So betrug 1950 das durchschnittliche Einkommen eines Reservatsindianers etwa 950 US-Dollar, das eines Schwarzen etwa 2000 US-Dollar und das eines Weissen sogar etwa 4000 US-Dollar. Die Regierung hoffte nun, diesen Zustand zu verbessern, indem sie das Adult Vocational Training Programm, also das Programm zur beruflichen Weiterbildung, ins Leben rief. Die Indianer, von denen 1940 noch nicht 10 % in Stadten lebten, wurden damit dazu ermutigt, ihre Reservate zu verlassen und sich in ausgewählten größeren Städten, wo man glaubte, es seien mehr als genug Arbeitsplätze vorhanden, niederzulassen, sich dort beruflich weiterzubilden, um sich somit besser in die amerikanische Gesellschaft integrieren zu können. Die Kosten für den Umzug und die berufliche Weiterbildung sollte von der Regierung übernommen werden.

Das BIA (Bureau of Indian Affaires) eröffnete sog. “Relocation Offices” in Chicago, Denver, Los Angeles, San Francisco, Salt Lake City, St. Louis, Cincinatti, Cleveland und Dallas, wo Angestelte des BIA die Neuankömmlinge bei deren Orientierung unterstützen und ihnen bei finanziellen und beruflichen Weiterbildungsdingen helfen sollten. Andere BIA-Angestellte rekrutierten auf den unterschiedlichsten Reservaten quer über den ganzen Kontinent verstreut zukünftige “Relocatees”, also Indianer, die an diesem “Weiterbildungsprogramm” teilnehmen sollten Offiziell alles auf rein freiwilliger Basis natürlich, in der Realität jedoch auch oft entweder unter massivem Druck oder aber mangels besserer Alternativen. So berichtet z.B. ein Kiowa davon, dass er eigentlich den ganzen Tag nur mit Freunden abhing und dabei auch schon mal mit dem Gesetz in Konflikt kam. Also bot man ihm bei seiner nächsten Verhaftung (wegen eines Kleindeliktes) an, anstatt die Strafe abzusitzen, doch eben an diesem Weiterbildungsprogramm teilzunehmen. ... er wählte die zweite Alternative.

Allein in den ersten fünf Jahren wurden so 30000 Indianer rekrutiert und man schätzt, dass noch weitere 30000, diesmal jedoch tatsächlich freiwillig, in die Städte abwanderten, um endlich der Armut auf den Reservaten zu entfliehen. Schließlich wurde versprochen, man würde die Neuankömmlinge in den Städten unterstützen, ihnen vorübergehend Unterkunft und auch Hilfestellung bei der Arbeitsplatzsuche und der Findung eines passenden sozialen Umfeldes geben. Zusätzlich bekam solch ein Relocatee einen gewissen Geldbetrag, um ihm die Übergangszeit zu erleichtern. Für ein Ehepaar mit 4 Kindern betrug dies z.B. 80 US-Dollar pro Woche und wurde üppige 4 Wochen lang gezahlt.

Jedoch klang dies - wie so oft bei solchen um das Wohlergehen der Indianer bemühten Regierungsprogrammen - oftmals nur auf dem Papier gut. Die umgesiedelten Indianer fanden trotz allem entweder gar keine oder wenn, dann nur sehr gering bezahlte Arbeitsstellen und das soziale Umfeld nahm sie auch nicht wirklich mit offenen Armen auf. So bekamen viele Heimweh und gingen entweder zurück in ihre Reservate oder verfielen schlicht und ergreifend wieder der Depression und dem Alkohol.

Aber trotz allem überwiegte wohl oftmals die Hoffnung, so dass 1980 sogar 750000 Indianer, also 53% der gesamten indianischen Bevölkerung zu dieser Zeit, in Städten lebten. Nicht unbedingt nur die Städte, die für das Weiterbildungsprogramm vorgesehen waren, aber eben in Städten und nicht mehr unbedingt auf Reservatsland, weil sie sich hier nunmal eine bessere Zukunft erhofften.
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von Anzeige » Do 19. Jul 2012, 09:19

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Re: Indianer oder nicht

Beitragvon Bärbel » Do 19. Jul 2012, 09:36

Hat es denn Vorteile, als Indianer “enrolled” zu sein?

Nun, das liegt wohl ganz im Auge des Betrachters. Mal ganz davon abgesehen, ob jemand tatsächlich in der Kultur einer bestimmten Nation verwurzelt ist und somit einfach eine gefühlsmäßige Bedeutung existiert, gibt es auch gewisse wirtschaftliche Aspekte:

Da z.B. manche Verträge auch heute noch gültig sind, die den Indianern lebenslange kostenfreie Gesundheitsversorgung zusichern (im Gegenzug zur Abtretung von Land), gibt es den sog. Indian Health Service (IHS). Bei Einrichtungen des IHS können sich enrollte Mitglieder jederzeit kostenfrei behandeln lassen (was oftmals zu Eifersüchteleien der weniger gut betuchten nichtindianischen Bevölkerung Amerikas führt, die sich aufgrund des niedrigen Einkommens ebenfalls keine Krankenversicherung leisten können, diesen kostenfreien Service der IHS jedoch nicht nutzen können). Nachteil dabei ist jedoch, dass diese Einrichtungen des IHS oftmals nur schwer und für manche Indianer unmöglich zu erreichen sind, die Qualität der Versorgung dort meist extrem zu wünschen übrig lässt und sich Einrichtungen, die nicht zum IHS gehören aber eventuell für den Patienten deutlich näher gelegen sind, oftmals weigern, enrollte Indianer zu behandeln mit dem Argument, sie könnten ja zu Einrichtungen des IHS gehen. (Tja, und umgekehrt ist es da auch nicht unbedingt besser. Hier (http://www.butzek.info/Indianer/Heutiges/Beispiele_IHS/beispiele_ihs.html) mal ein persönlicher Erfahrungsbericht einer Betroffenen zum Leben mit dem IHS)

Nationen, die z.B. ein Casino betreiben, haben auch einen Schlüssel, nach dem die Gewinne des Casinos an die einzelnen Stammesmitglieder aufgeteilt werden bzw. für Infrastruktur genutzt werden, die dann allen Stammesmitgliedern Vorteile bringen. Wer also bei solch einer Nation enrolled ist, erhält Zuwendungen, wer nicht enrolled ist, bekommt nichts.

Tja, und dann gibt es auch noch den nicht ganz unbedeutenden Faktor “Tourismus”. Dadurch, dass durch Geschichten wie “Winnetou”, “Lederstrumpf” und wie sie alle heissen gerade in Europa heutzutage das Indianerbild eher von Attributen wie exotisch interessant, edel, mutig, abenteuerversprechend u.ä. geprägt ist, hat es durchaus werbewirksame Effekte, wenn jemand von sich sagen kann, dass er/sie “echter Indianer/echte Indianerin” ist. Da ist es dann ja oftmals sogar so, dass Leute mit eher südländischen bzw. arabisch anmutendem Aussehen zunächst abfällig betrachtet werden, kaum können sie jedoch von sich behaupten, indianische Vorfahren zu haben, werden sie umschwärmt und hofiert. Wie oft hört man dann Fragen wie:

Ich interessiere mich für Indianer und würde gerne Kontakt zu Indianern haben. Aber wie?
Ich fühle mich von der “Spiritualität” der Indianer inspiriert und möchte gerne mehr darüber erfahren.

Aber auch, wenn ich jetzt vielleicht so manch einem die Illusion raube, aber Indianer sind ganz bestimmt nicht diejenigen, die ständig glücklich beseelt und eins mit ihrer Umwelt rumlaufen und dabei noch einen lehrreich weisen Spruch auf Lager haben. Sie können - ebenso wie jede andere Person - fluchen wie die Kesselflicker, ihre Umwelt mir Füssen treten und durchaus auch am Leben verzweifeln. Genau deshalb gibt es ja so viele Alkohol- und Drogenprobleme inkl. einer extrem hohen Selbstmordrate. ... Und die Zweifel, ob jemand denn nun "echter" Indianer oder "nur" ein Abkömmling (descendant) ist, macht die ganze Sache auch nicht gerade leichter ...
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